Stuttgart,
Blicke

Liebes Publikum,
die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseure und Mitglieder des Teams, die jetzt in Stuttgart ihre Arbeit beginnen, kommen neu in diese Stadt. Wir alle kommen an und schauen uns um. Ein neuer Ort lädt dazu ein. Einen neuen, frischen Blick auf etwas werfen zu können, ist eine seltene Chance, die wir ergreifen wollen – aufmerksam, unverstellt, offen und neugierig.

Wir gehen auf Spurensuche, in der Stadt und der Region. Maximal historisch, maximal modern. Das neue Erscheinungsbild des Schauspiel Stuttgart, das wir zusammen mit Spector Bureau aus Leipzig entwickelt haben, greift diesen Gedanken auf. Aber bis in welche zeitlichen Resonanzräume wollen wir zurückgehen? Welche Zeiträume für unsere Wahrnehmung der Gegenwart öffnen? Einen Faustkeil sehen Sie, vielleicht fühlen Sie sich an Höhlenmalerei erinnert. Kulturelle Zeichen aus unterschiedlichsten Epochen werden collagiert mit zeichnerischen, gestischen Spuren. Eine unmittelbare Körperlichkeit wird sichtbar, ein körperlicher Ausdruck, der auch das Wesen von Theater ausmacht.

Wohin hat uns unser Blick für die erste Spielzeit hier in Stuttgart geführt? Wir sind auf das Mittelalter des revolutionären schwäbischen Reichsritters in Goethes „Urgötz“ gestoßen, auf den Stuttgarter Wilhelm Hauff und die Ersetzung des Herzens durch das Geld. Ins Zentrum der Romantik dringen wir mit dem Musiktheaterabend „Doppelgänger“ vor. Mit Projekten zu Fluxus und Dieter Roth in Zusammenarbeit mit der Staatsgalerie und dem Kunstmuseum sondieren wir die Kunststadt Stuttgart. Alfred Anderschs „Fahrerflucht“ am Zubringer Leonberg aus den 1960er Jahren wird konfrontiert mit einer Weiterschreibung ins Heute durch den Baden-Badener Dramatiker Philipp Löhle. Hermann Hesses „Unterm Rad“ führt uns mentalitätsgeschichtlich in die Region um 1900; Anna Katharina Hahns „Am Schwarzen Berg“ ist eine Bestandsaufnahme der deutschen Seele zwischen Mörike und Bahnhofsbaustelle. Und mit dem Stadtprojekt „S – City of Youth“ öffnen wir uns in die Stadt und fragen nach der gesellschaftlichen Beteiligung der heranwachsenden Generation. Einen Blick von außen werfen wir mit zahlreichen internationalen Projekten im Rahmen der „Union des Théâtres de l’Europe“, einer Vereinigung von derzeit 19 Theatern aus 16 Ländern, deren Mitglied das Schauspiel Stuttgart ab dieser Spielzeit ist.

„Bussard absegelt Planquadrat“ – heißt eine Gedichtzeile des Stuttgarter Autors Helmut Heißenbüttel. Folgen Sie unserem Blick, begeben Sie sich mit uns auf Spurensuche.

Armin Petras, Intendant
Jan Hein, Leitender Dramaturg